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Weihnachtsgäste

Man stelle sich mal vor, es wäre Weihnachten und man würde zwölf Gäste erwarten, die unterschiedlicher nicht sein können. Es ist Weihnachten 2020 und in meinen Gedanken spielt sich das Weihnachtsszenario ab.

An unserer Haustür befindet sich eine Klingel, wie man sie früher hatte, wo man bereits an der Art des Klingeltons erkennt, welche Art Charakter sie benutzt.

Nun, da sitze ich, bei einem köstlichen Bratapfeltee, in meinen Gedanken vertieft, als es fordernd an der Tür schellt. Er kann es kaum erwarten, bis ich die Tür öffne, schwer beladen steht er vor der Tür. Kräftig, wie er jedoch mal ist, macht ihm die Last, die er zu tragen hat, nichts aus. Er begrüßt mich stürmisch und ohne Aufforderung, betritt zielstrebig mein Haus. War ich doch gerade noch in so einer gemütlichen Stimmung, so reißt er mich, mit seiner Energie und Unruhe, geradezu mit. Neugierig wirft er einen Blick in jeden Raum, bis er den Weihnachtsbaum entdeckt, um dort seine Geschenke zu verteilen. Dann endlich hält er Inne und schaut mich direkt und unverblümt an und fragt mich: „Wo bleiben denn die anderen Gäste?“

„Diiinnng Doonng!“, klingelt es auch schon irgendwie „langsam“ an der Tür. Tief durchatmend, um mich von der Unruhe, die Herr Widder bei mir hinterlassen hat, zu befreien, versuche ich einigermaßen gelassen die Tür zu öffnen.

Vor mir steht ein ruhiger, geduldiger Stiermann; natürlich bemerkt er sogleich meine übernommene Hektik und empfängt mich mit den Worten: „Gemach, gemach, nur keine Eile, es ist Weihnachten!“ Ich spüre, wie in mir die Sicherheit wieder einzieht.

Er nimmt einen tiefen Atemzug und stellt fest wie köstlich es bei mir duftet und was für eine schöne harmonische Stimmung in der Luft liegt. Er drückt mir ein Blech mit lecker duftenden Zimtäpfeln in die Hand, die er zu unserem Festmahl hin zusteuert. Ich zeige ihm den Weg zum Wohnzimmer, als es auch schon wieder an der klingelt, diesmal zwei aufeinanderfolgende „Ding Dong, Ding, Dong!“

Geradezu eingehüllt in den Hauch von Gelassenheit, mache ich die Tür auf. Dort steht, mit dem Handy am Ohr, Frau Zwilling. Sie gibt mir zu verstehen, dass es ein wichtiges Telefonat sei; am Rande bekomme ich mit, wie sie mit einer Nachbarin den neuesten Klatsch und Tratsch der Nachbarschaft austauscht. Nachdem das Telefonat beendet ist, rauscht sie in meine Wohnung und schreibt derweil noch eine WhatsApp an Freunde in der Ferne und postet im gleichen Atemzug einen Weihnachtsgruß auf Instagram und Facebook. Ich beobachte sie nachdenklich und stelle fest, eigentlich bekommt sie nichts mit, von dem, was JETZT gerade ist. Während ich das noch so bedauere, klingelt es zögerlich…

Ich öffne die Tür und sehe erstmal niemand, ich höre nur ein Schluchzen und dann entdecke ich Frau Krebs. Hinter einer Hecke versteckt, putzt sie sich die Tränen ab und erklärt mir schniefend, wie traurig es ist, dass XY nicht bei diesem Weihnachtsfest dabei sein kann. Leicht anklagend sagt sie mir: „Eigentlich wollte ich alle zu Weihnachten einladen und alle umsorgen, aber DU warst ja schneller!“, bedankt sich allerdings im gleichen Atemzug für die Einladung. Man sieht ihr an, wie wohl sie sich sofort fühlt und da sie auch gleich ihre Straßenschuhe abstreift, die selbstgestrickten Socken anzieht und noch ein paar Kerzen anzündet, weiß ich, um Frau Krebs mache ich mir keine Sorgen.

Es klingelt laut und etwas aufdringlich.

Mit großen, schweren Paketen steht Frau Löwe vor der Tür und bedankt sich theatralisch für die Einladung. Frau Löwe fragt mich auch gleich, wo denn die Küche sei, damit sie alles abstellen kann. Wundernd zeige ich ihr den Weg in die Küche und ahne schon was kommt. Klar und deutlich erklärt sie mir, dass mein Geschirr zwar sehr hübsch sei, aber für ein so besonders Fest, wie Weihnachten nicht angemessen. Somit habe sie sich kurzerhand entschieden ihr teures, exklusives Geschirr einzupacken und mitzubringen. Damit alles einen angemessenen Rahmen hat (den ich wohl nicht bieten kann …AHA!). Sie duldet keine Einwände und macht sich an die Arbeit, lässt erst mein ganzes Geschirr unauffällig im Schrank verschwinden, um dann die Tischdekoration nach ihrem Geschmack zu gestalten.

Es klingelt zögerlich.

Vor der Tür steht Herr Jungfrau, im akkuraten karierten Anzug aus den 70ern, mit Aktentasche unter dem Arm, so kennen wir ihn. Er macht einen recht besorgten Eindruck.

Beim Betreten meiner Wohnung, fängt er auch schon an mir von seinen Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten zu erzählen, er ernähre sich nun glutenfrei, daher könne er leider an meinem köstlichen Mal nicht teilnehmen. Er wolle mich ja nicht behelligen, wie vorteilhaft es wäre, wenn wir uns alle gesund ernähren würden, dennoch wäre es gut, wenn alle informiert würden. Er überreicht mir sein Mitbringsel, ein gebrauchtes Buch in Zeitungspapier eingewickelt. Natürlich hat er sich selber etwas zu essen mitgebracht und fragt mich, ob er meine Küche benutzen dürfe, ich zeige ihm die Küche und er macht sich auch gleich an die Arbeit. Frau Löwe rümpft zwar etwas die Nase, aber lässt sich auch nicht aufhalten.

Es klingelt melodisch.

Auf dem Weg zur Haustür frage ich mich, warum ich mir das angetan habe, einen solchen bunten Haufen zu Weihnachten einzuladen?

Doch beim Öffnen der Haustür, schwingt eine geradezu harmonische Energie zu mir hinüber, was mich sogleich umstimmt. Ein blumiger Duft, kitzelt in meiner Nase und vor mir steht Frau Waage, atemberaubend, schön zurechtgemacht. Als sie auf die bereits anwesende Gesellschaft zu schreitet, zieht sie alle mit ihrer Aufmerksamkeit in ihren Bann. Gelogen wäre zu behaupten, sie genießt es nicht. Von ihr bekomme ich ein selbstgemaltes Bild, in harmonischen Farben. Ich kann mich kaum von ihr abwenden, als es an der Tür klingelt….

Dunkel gekleidet und intensiv geschminkt steht Frau Skorpion vor der Tür, sie drückt mir ein geschnürtes Paket mit Räucherwerk in die Hand. Beim Eintreten ins Haus erklärt sie mir: „Wo so viele Menschen aufeinander treffen, setzt sich viel Energie und Schatten frei, daher habe ich was zum Räuchern mitgebracht, ohne Rituale und energetische Reinigung geht es in der heutigen Zeit nicht!“ Huch, ich denke an meine anderen Gäste und hoffe das ist für sie nicht zu angsteinflößend, überhaupt dieses Auftreten von Frau Skorpion so kenne ich sie gar nicht. Als könne sie meine Gedanken lesen, sagt sie: „Tja, Weihnachten, das Fest der Liebe, aber wie sieht es hinter den Kulissen aus, das wird sich zeigen, ob wir heute nicht besser transformieren und über tiefsinniges reden?“ Ich überlege, ob ich ihr nicht besser sage, sie solle gehen, ich will mich ja nicht bei meinen anderen Gästen blamieren.

 

Wie ein Glockenklang macht, tönt die Klingel und zieht mich aus meinen Gedanken.

Habe ich eben noch an allem gezweifelt, so sind meine dunklen Gedanken beim Öffnen der Tür bereits durch das laute Jubilieren verflogen. Voller Optimismus, nach Weihrauch duftend steht Frau Schütze, bunt gekleidet vor der Tür, sie summt noch: „Halleluja …!“ vor sich hin, da sie gerade aus der Kirche kommt. Sie begrüßt mich mit den Worten: „Och Schätzchen, machst Du einen gestressten Eindruck, nimm doch nicht immer alles so ernst. Warum so dunkle Gedanken?!“ Mit vielen bunten Paketen, die so schön verpackt sind, wo sicher kilometerweise Schleifenband drauf ging, betritt sie im flatternden roten Mantel das Haus. Die Geräuschkulisse ist inzwischen so groß, dass ich ihr den Weg zum Weihnachtsbaum gar nicht mehr zeigen muss.

Gerade will ich die Haustür schließen, da steht auch schon Frau Steinbock vor mir. Vornehm, edel und elegant gekleidet in einem schlichten schwarzen Kleid, begrüßt sie mich mit einem Knicks und bedankt sich für die Einladung, mit den Worten: „Ich finde es schön, dass Du die Tradition dem festlichen Beisammensein an Weihnachten nicht brichst, aber ich hoffe doch sehr, dass Du nicht zu sehr über die Stränge geschlagen hast. Das Gesetz, ohne Fleiß kein Preis, gilt aber auch immer! Ich hoffe, ich bin nicht zu spät?“ In schlichtem Papier hat sie mir überreicht sie mir den neuen Ratgeber für die Steuererklärung 2020.

Stürmisch klingelt es ein weiteres Mal an der Tür.

Völlig unkonventionell gekleidet und eher aus der Reihe tanzend, steht dort Herr Wassermann, mit einem Korb voller Osterhasen in der Hand, er will es einfach anders machen und sich nur nicht anpassen müssen. Herrn Wassermann fällt mein grell, schillernd, blinkender Rennschlitten im Garten sofort positiv auf, die Musik dürfte etwas rockiger sein, aber das wird er schnell ändern, da bin ich mir sicher.

So, denke ich, wir sind komplett und schaue mir die gemischten Gäste an. Wassermann motzt gleich Schütze an, weil sie Bibelverse zitiert und er das unpassend findet. Zwilling ist immer noch am Handy und Frau Krebs labert ihr dennoch jaulend die Ohren voll. Frau Waage wirft hin und wieder einen Blick in den Taschenspiegel, ob auch noch alles sitzt. Herr Jungfrau bietet mir Hilfe in der Küche an und fragt höflich, wo er denn sein Süpplein kochen kann. Frau Sonne ist noch mit der Tischdeko beschäftigt, während Skorpion und Steinbock über Grenzen und Sinnhaftigkeit diskutieren.

Erst als es zaghaft klingelt, wusste jeder, da fehlte noch jemand.

Vor der Tür steht Frau Fische, natürlich viel zu spät, aber es ist ja auch nicht aufgefallen, irgendwie bemerkt man sie nie. Das ist mir natürlich sehr peinlich und ich hoffe, sie merkt es nicht. Sie sagt auch gleich, dass sie heute nicht so klar sei im Kopf, sie müsse sich erstmal erden und schlägt vor, dass wir nun gemeinsam meditieren.

Mein Steinbockmann reißt mich aus meinen Gedanken und sagt: „Du würdest gegen das Gesetz verstoßen, wenn Du zwölf Personen einlädst."

©Iris Bachmann, Dezember 2020

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